2. Entwurf
Was kann man tun, wenn man nicht nur grau, sondern auch unsichtbar wird?
Angesichts der deutlich gestiegenen Lebenserwartung umfasst die Lebensphase des Alterns heute einen wesentlich größeren Teil der durchschnittlichen Lebenszeit als noch vor einer Generation. Die persönliche, politische und wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Alter konzentrieren sich häufig auf die befürchteten negativen Begleiterscheinungen wie Krankheiten und Gebrechlichkeit, Einschränkungen von Leistungsfähigkeit und Autonomie sowie den vermeintlichen Verlust an Attraktivität.
Viele LSBTTIQ* sehen zusätzliche und lange verdrängte Herausforderungen, die mit dem Älterwerden verbunden sind. Dies betrifft vor allem die Ortsveränderungen, die mit einer intensiveren Gesundheitsversorgung und Pflege, mit dem altersgerechten Wohnen oder aufrecht zu erhaltenden Freizeitbedürfnissen einhergehen. Fast überall treffen LSBTTIQ* im Alter auf Orte, die nicht für ihre spezifischen Bedürfnisse eingerichtet und ausgestattet sind oder in denen sie unter Umständen aktiv diskriminiert werden. Die Mehrzahl der meist selbstorganisierten Projekte von und für LSBTTIQ* werden von einer Generation organisiert, die es gewohnt ist, sich öffentlich und geoutet für ihre Belange einzusetzen und richten sich nicht explizit an ältere Menschen. Die häufige Folge für die jetzige ältere Generation ist, die soziale Isolation oder Einschränkungen bei gesellschaftlicher Teilhabe.
Für die jetzige ältere Generation, die ihr eigenes Geschlecht und ihre Sexualität noch in einer Zeit entdecken musste, in der die Rechtslage ein selbstbestimmtes freies Leben verbot (etwa durch den §175) und die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber jeglichen homosexuellen Lebensentwürfen entsprechend niedrig war, ist ein geschützter Raum, in dem sie sich auch im Alter noch, erstmals oder wieder frei entfalten und austauschen können, besonders wichtig. Denn oft leben ältere LSBTTIQ* ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität nicht offen aus, möglicherweise aus Angst vor Zurückweisung oder dem Wiederaufkommen früherer Ausgrenzungserfahrungen. Dies betrifft all behördlichen und institutionellen Vorgänge und Anträge, wie Rentenanträge oder Bestattungen.
Diese Angst kann in Zusammenhang von Pflege- und Gesundheitseinrichtungen besonders stark ausgeprägt sein, da Fachpersonal oft nicht entsprechend für die spezifischen Bedürfnisse und Sorgen von LSBTTIQ* im Alter sensibilisiert ist. Ältere LSBTTIQ* sind häufig auf externe Zuwendung angewiesen, wenn ein Familienhintergrund fehlt und eine geringe Mobilität die Angebote in den Metropolen nicht erreichbar macht und ihre Angst sollte sie nicht davon abhalten, diese externe Zuwendung in Anspruch zu nehmen. Vor allem für pflegebedürftige LSBTTIQ* ist es wichtig, dass Mitarbeitende in Altenpflegeeinrichtungen kompetent mit den Bedürfnissen älterer LSBTTIQ* umgehen können, um auch bei Diskriminierungen durch andere Bewohner*_*innen hilfreich und deeskalierend einzuwirken. Eine Atmosphäre, in der sich LSBTTIQ* im Alter wohlfühlen, besondere Lebensentwürfe und Biografien kenntlich zu machen und zu teilen, ist maßgebend.
Die Frage der Wahrnehmung für das Erlebte und die Biographien von lesbischen Frauen*, trans* Personen oder Menschen mit bisexuellen Lebensentwürfen sowie schwulen Männern* spielt bei der Gesunderhaltung eine elementare Rolle. Im Alter stellen sich für Männer*, die Sex mit Männern haben oder hatten, häufiger zusätzliche gesundheitliche Herausforderungen. Diese betreffen vor allem Fragen zur sexuellen Gesundheit sowie Männergesundheit. Die Behandlung von HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten spielt in dieser Gruppe eine wesentliche Rolle. Bei Orts- und Lebensveränderungen muss die Qualitätssicherung bei der ärztliche Versorgung weiter sichergestellt sein. Medizinische Fachpersonal und Ärzte*_*innen müssen vorbereitet und sensibilisiert sein.
Zukunftsaufgabe ist es, sensibilisierte und spezialisierte LSBTTIQ*-freundliche Pflegeeinrichtungen zu entwickeln und allgemein kenntlich zu machen. Für diese Spezialisierung gibt es erste Angebote der Zertifizierung. Die Schwulenberatung Berlin verleiht inzwischen das Gütesiegel "Ort der Vielfalt" an Pflegeeinrichtungen, inzwischen auch erstmals in Brandenburg (Stand November 2019). Die Einrichtungen erhalten ein Schulungsprogramm für Hausleitungen und medizinische Fachkräfte und Pflegepersonal, um auf die spezifischen Bedarfe von LSBTTIQ* reagieren zu können.
Wir möchten uns bei folgenden Personen bedanken, die diesen Text entwickelt, weiterentwickelt und korrigiert haben:
Maria Sievers (qu. Factory - Katte e. V.)
Hans Kremer (Katte e. V.)
Jirka Witschak (LKS qu. Brandenburg)
Beratungs- und Selbsthilfe
Beratungs- und Selbsthilfeangebote für LSBTTIQ* im Alter
queer health support
Beratungstelefon: 0331 240 190
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