Inter*geschlechtlichkeit

2. Entwurf

"Die Untersuchungen waren schmerzhaft, und ich wollte nur noch sterben vor Scham. Noch nie in meinem Leben fühlte ich mich so ausgeliefert und verletzlich wie an diesem Tag. Ich kam mir regelrecht vergewaltigt vor."

-Tascha (xy-Frauen)

 

Intergeschlechtlich sind Menschen, deren geschlechtliches Erscheinungsbild von Geburt an, hinsichtlich der Chromosomen, der Keimdrüsen, der Hormonproduktion und der Körperform nicht nur männlich oder nur weiblich ausgeprägt ist, sondern scheinbar eine Mischung darstellt. Man geht von einem Bevölkerungsanteil ca. 0,1 Prozent aus. Doch erst die Debatte um die Einführung der Dritten Option beim Geschlechtseintrag, hat die Bedürfnisse all dieser Menschen und den diversen Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert sind, sichtbarer werden lassen. Im Kontext von Bildung fehlt das Thema Intergeschlechtlichkeit ganz oder wird häufig mit Themen, wie Homosexualität oder Transgeschlechtlichkeit gleichzeitig abgehandelt.

Die weit überwiegende Mehrzahl der intergeschlechtlichen Menschen ist nicht per se krank oder behandlungsbedürftig, trotzdem werden noch immer bei Säuglingen oder Kindern, die Beseitigung der "Abweichungen" durch Hormontherapien und geschlechtszuweisende Operationen für nötig befunden. Die an ihnen begangenen medizinisch nicht notwendigen, traumatisierenden Behandlungen stellen einen erheblichen Verstoß gegen ihr Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde dar. Dabei wird in Kauf genommen, dass das sexuelles Empfinden vermindert oder gänzlich zerstört wird. In der Vergangenheit wurden intergeschlechtliche Kinder systematisch ihrer Fortpflanzungsfähigkeit beraubt. Eine solche Wegnahme der gesunden, hormonproduzierenden inneren Organe und eine lebenslange Substitution mit körperfremden Hormonen löst gesundheitliche Problemen aus, zu deren Versorgung sich niemand in der Lage sieht. Als Problematik tritt hinzu, dass jede fremd- bestimmte Geschlechtszuweisung ein Wagnis ist, das sich später als Fehldeutung herausstellen könnte (-dies gilt für jeden Menschen).

In einer Welt, in der über Intergeschlechtlichkeit wenig bekannt ist, brauchen insbesondere Eltern eine gute Unterstützung. Sie tragen für eine lange Zeit die Verantwortung für das körperliche und seelische Wohlergehen ihres Kindes. Durch die Geburt eines intergeschlechtlichen Kindes fühlen sie sich oftmals, aufgrund fehlender und/oder falsch verstandener Informationen oder einfach durch die Masse der medizinischen Fakten überfordert. Dabei stehen sie Entscheidungen gegenüber, deren Auswirkung und Ausmaß sie grundsätzlich nicht überblicken können. Das dadurch entstehende Ohnmachtsgefühl kann einen gravierenden Einfluss auf den natürlichen Umgang mit dem eigenen Kind haben. Die Aussicht auf medizinische Angleichungen an ein bekanntes Geschlecht durch Operationen oder Behandlung scheint eine Sicherheit zu versprechen, für die es jedoch keinen Beleg gibt.

Im Alltag wird dann jedes dem medizinisch "verordneten" Geschlecht widersprechende Verhalten explizit registriert und manchmal auch angstvoll zu unterdrücken versucht. Dabei sind alle Menschen in Verhalten und Vorlieben spezifisch und ein unterdrückendes Vorgehen zieht negative Auswirkungen auf die Psyche des Kindes nach sich. Die Beeinträchtigung des Aufbaus und der Pflege eines intensiven, selbstverständlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Eltern und Kind ist oftmals die Folge. Dabei sollte gerade die Stärkung des Eltern-Kind-Verhältnisses im Vordergrund stehen und die Akzeptanz des Kindes in seinem Sein, damit in ihm das Selbstbewusstsein für eine eigene und selbstbestimmte Entwicklung entstehen kann.

Die Auseinandersetzung und die Selbstfindung sind für viele intergeschlechtliche Menschen ein langer Prozess. Intergeschlechtliche Menschen setzen sich oft ihr ganzes Leben lang mit der Norm der Geschlechter in „männlich“ und „weiblich“ intensiv auseinander. Sie sehen sich mit der Aufgabe konfrontiert, ein eigenes Selbstverständnis finden zu müssen, für das es in der Gesellschaft kein Vorbild gibt, weil die konventionellen Rollenvorstellungen von Mann und Frau zu kurz greifen. Zu dieser Identitätsbildung bzw. -findung und der Verarbeitung ihrer Erfahrungen ist die Austauschmöglichkeit mit anderen inter* Menschen essentiell wichtig.

Intergeschlechtliche Menschen können sehr unterschiedliche Lebensplanungen haben und leben oftmals in sehr unterschiedlichen Geschlechterrollen. Diese können selbstbestimmt „weiblich“, „männlich“ oder „inter*geschlechtlich“ sein. Wie sich ein intergeschlechtlicher Mensch sieht, wird durch viele verschiedene Faktoren geprägt und ist das Ergebnis einer lang andauernden Differenzierungsphase und als solche unbedingt zu respektieren.
Aktuell haben Menschen bzw. die Eltern nach der Geburt von Kindern, die wegen einer Variante ihrer Geschlechtsentwicklung weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht eindeutig zugeordnet werden können, im Geburtenregister neben den Angaben "männlich", "weiblich" oder dem Offenlassen des Geschlechtseintrages nun die Möglichkeit der Angabe "divers" (Dritte Option).

 


Wir möchten uns bei folgenden Personen bedanken, die diesen Text entwickelt, weiterentwickelt und korrigiert haben:

Jannes Christopher Albu (Tranistor Potsdam)
Dr. Erik Schneider (Intersex & Transgender Luxembourg a.s.b.l.)
Trans-Kinder-Netz e. V. 
Maria Sievers (qu. Factory - Katte e. V.)
Jirka Witschak (LKS qu. Brandenburg)

 

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